Koalitionsvertrag 2025: Zwischen Nachhaltigkeitsanspruch und ESG-Realität
Was Unternehmen jetzt brauchen – und (noch) nicht bekommen
Der neue Koalitionsvertrag benennt große Themen: Klimaneutralität, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft. Doch was nach Ambition klingt, bleibt oft vage. Gerade jetzt – wo Europa bei ESG kurz durchatmet – wäre nationale Klarheit wichtiger denn je.
Dabei benennt der Koalitionsvertrag durchaus relevante Ansätze im Bereich Nachhaltigkeitspolitik: Die Kreislaufwirtschaft soll durch eine Reform des Verpackungsgesetzes und mehr Herstellerverantwortung gestärkt werden. Der Moorschutz und das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz werden fortgesetzt – allerdings weiterhin auf freiwilliger Basis. Der Ausbau erneuerbarer Energien, Mieterstrommodelle und Energy Sharing sollen vorangetrieben werden. In der Landwirtschaft ist vom Ausbau des Ökolandbaus und der Umsetzung entwaldungsfreier Lieferketten die Rede. Auch Aspekte verantwortungsvoller Unternehmensführung – im Sinne von „Governance“ – wie Transparenz bei öffentlichen Investitionen und Kapitalmarktregulierung werden erwähnt.
Gleichzeitig formuliert der Koalitionsvertrag wirtschaftspolitische Ziele: Deutschland soll als Industriestandort gestärkt, der Wirtschaftsstandort modernisiert und das Wachstum durch Innovationen gefördert werden. Maßnahmen wie die Senkung der Körperschaftsteuer, die Ausweitung der degressiven Abschreibung und gezielte Energiepreisreformen sollen Unternehmen entlasten.
Was dabei auffällt: Die Verbindung zwischen Nachhaltigkeitszielen und ESG-relevanten Standards bleibt unscharf. Zwar wird das Narrativ der „nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit“ bemüht – aber konkrete Anreizstrukturen, etwa zur ökologischen Investitionsförderung, einer ESG-konformen Kapitalmarktpolitik oder zur CO₂-relevanten Besteuerung, bleiben diffus.
Ohne Prioritäten, konkrete Zeitpläne und eine stringente Umsetzung verliert sich der Vertrag im Nebel der Möglichkeiten. Symbolpolitik ersetzt keine strategische Richtung.
Wer Nachhaltigkeit sucht, wird fündig – zumindest in der Wortwahl. Kreislaufwirtschaft, klimaneutrale Energieversorgung, sozialverträgliche CO₂-Bepreisung: Das klingt nach Aufbruch. Doch ohne Roadmap, ohne klare Zuständigkeiten, ohne messbare Zwischenziele wirken selbst ambitionierte Themen kraftlos.
Gerade für mittelständische Unternehmen bedeutet das: mehr Unsicherheit. Orientierung, belastbare Rahmenbedingungen und Umsetzungs-Know-how fehlen. Die vorübergehende Aussetzung der CSRD-Pflichten für große nicht-börsennotierte Unternehmen mag kurzfristig wie eine Entlastung wirken. Doch wer ESG jetzt ignoriert, wird später doppelt zahlen – gegenüber Investoren, Kunden, Banken und nicht zuletzt der Regulierung, die garantiert zurückkehrt.
Hinzu kommen geplante Änderungen am Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das stärker europäisch harmonisiert, aber zugleich rechtlich komplexer werden soll. Für viele mittelständische Unternehmen bedeutet das eine neue Welle an Bürokratie und Unsicherheit – ohne dass ausreichend Unterstützung bei der Umsetzung vorgesehen ist. Die Bundesregierung muss hier nicht nur verpflichten, sondern auch befähigen.
In den USA wird ESG zunehmend zum politischen Streitfall. Während konservative Bundesstaaten ESG-Kriterien gezielt bekämpfen, fordern große institutionelle Investoren wie BlackRock oder State Street weiterhin klare Nachhaltigkeitskennzahlen und Transparenz.
In der EU dominiert ein regulatorisch ambitionierter Ansatz – doch mit der CSRD-Verschiebung entsteht Unsicherheit bei Zeitplänen und Umsetzung.
China hingegen verfolgt einen wirtschaftsstrategischen ESG-Kurs, der Klimaziele, Industriepolitik und Kapitalmarktzugang stärker verzahnt – zentral gelenkt, aber konsequent in Richtung Wettbewerbsfähigkeit.
Und in Deutschland? Dort fehlt eine konsistente ESG-Strategie: Unternehmen bleiben auf sich gestellt, klare politische Leitplanken fehlen, die Regierung reagiert – statt zu gestalten.
Die Bundesregierung hätte jetzt die Chance, Klarheit zu schaffen: durch gezielte Anreize, durch die Standardisierung von ESG-Anforderungen, durch Förderung freiwilliger Transparenz und durch einen realistischen Fahrplan für ESG-Readiness. Nicht irgendwann – sondern jetzt.
Was es braucht, ist eine abgestimmte Strategie, die Innovationsförderung, steuerliche Entlastung und ökologische Transformation zusammen denkt. ESG darf nicht als Gegenspieler zur Wettbewerbsfähigkeit inszeniert werden – sondern als Katalysator für zukunftsfähiges Wirtschaften.
Wer Nachhaltigkeit ernst meint, darf den Aufschub nicht als Ausrede nutzen, sondern muss ihn zur strategischen Vorbereitung verwenden. ESG steht auf Pause. Aber das ist keine Einladung zur Lethargie – sondern eine Gelegenheit. Wer jetzt investiert – in Know-how, Strukturen und glaubwürdige Nachhaltigkeitsberichterstattung – wird der nächsten ESG-Welle nicht ausgeliefert sein, sondern ihr vorbereitet begegnen.
Die Zeit läuft.
Nachhaltigkeit bleibt ein politisches Ziel. ESG ist der operative Rahmen, mit dem Unternehmen zeigen können, wie ernst sie dieses Ziel nehmen – oder eben nicht.
Christian Eder
30.04.2025